Der Jahreswechsel bietet willkommenen Anlass, über die Zeit nachzudenken. Man blickt zurück aufs letzte Jahr, man schaut nach vorn, nimmt sich fürs nächste Jahr gute Vorsätze… immer ist die Zeit mit im Spiel. Aber was bedeutet eigentlich Zeit für den Menschen? Ihre persönliche Zeit ähnelt sehr viel weniger dem durch die Uhr rieselnden Sand, als Sie glauben. Das zeigt die phänomenologische Untersuchung von Alfred Schütz und Thomas Luckmann.
In Ihrem Hauptwerk „Strukturen der Lebenswelt“ von 1973 (engl.) bzw. 1975 (dt.) analysieren die beiden Soziologen – wie der Titel schon sagt – die Strukturen der alltäglichen Lebenswelt der Menschen, den „Gesamtzusammenhang der Lebenssphäre“. Die leitende Frage dabei ist, was unsere Lebensumgebung für uns als handelnde Individuen ausmacht. Schrittweise versuchen Schütz und Luckmann, die elementaren Strukturen des Alltagslebens aufzudecken, die allem menschlichen Handeln und Denken zugrunde liegen. Die aus der eingehenden Betrachtung der verschiedenen Phänomene wie bspw. Zeit und Raum – daher der Begriff phänomenologisch – abgeleiteten Sinnzusammenhänge sind immer wieder überraschend.
Hier an dieser Stelle möchte ich die Betrachtung der Zeit „herauspicken“, weil sie für das Zeitmanagement ein tiefer gehendes Verständnis liefern kann. Wer’s ein bisschen differenzierter mag, dem sei die Lektüre des Wikipedia-Artikels über Alfred Schütz und natürlich das Originalwerk empfohlen (ist über den UTB-Verlag noch immer im Handel erhältlich. Der gute Vorsatz fürs neue Jahr: support your local dealer, deshalb gibt’s hier keinen Link).
Die Dimensionen der Zeit
Das Phänomen Zeit strukturieren Schütz und Luckmann in drei Dimensionen:
- Weltzeit
- subjektive Zeit
- intersubjektive („soziale“) Zeit
Alle drei Dimensionen der Zeit werden vom Individuum gleichzeitig erfahren und gelebt.
a) Weltzeit
Die von Schütz und Luckmann „Weltzeit“ genannte Dimension der Zeit ist diejenige, die uns am unmittelbarsten bewusst ist. Sie beschreibt die Fortdauer der Welt, sie ist linear, irreversibel und für das Individuum die nicht modifizierbare äußere Zeit. Die Weltzeit läuft unerbittlich – zwangsläufig – weiter.
Die Erfahrung der Weltzeit
Schütz und Luckmann schreiben zur Erfahrung der Weltzeit: „In der natürlichen Einstellung erfährt der Mensch Endlichkeit und Zwangsläufigkeit als ihm auferlegt und unausweichlich, als die Grenze, in der sein Handeln möglich ist, als die zeitliche Grundstruktur seiner Wirklichkeit (…).“
Da auf dieser Ebene klar ist, dass die Weltzeit die des individuellen Daseins überdauert, erfährt das Individuum zum einen die Endlichkeit seines Daseins. Aus dieser zeitlichen Begrenztheit ergibt sich das Grundmotiv seiner Lebensplanung.
Die zweite zentrale Erfahrung mit der Weltzeit ist die Zwangsläufigkeit der Abfolge und Gleichzeitigkeit aus, d.h. die geplanten Handlungen müssen nach der zeitlichen Realisierberkeit geordnet werden. Dieses Prinzip – Schütz und Luckmann nennen es „first thing first“ – bestimmt weitgehend den Ablauf des Tagesplanes.
Der (Selbst-)Organisationsaspekt
Endlichkeit und Zwangsläufigkeit, Lebens- und Tagesplanung sind eng miteinander verknüpft. Die Endlichkeit meines Daseins stellt mich vor die Aufgabe, mein Leben zu planen. Bei dem Versuch diesen Lebensplan in kleinen Schritten mit Tagesplänen umzusetzen, bin ich jedoch in den Zwangsläufigkeitender zeitlichen Abfolge gefangen. Dabei spielt es keine Rolle, wie explizit ich meine Lebensplanung formuliere und diese in die Tagesplanung umsetze. Ich werde keinen Kaffee trinken können, bevor nicht das aufgesetzte Wasser gekocht hat.
Auf dieser Ebene besteht die organisatorische Herausforderung darin, die zeitliche Abfolge meiner Pläne so zu optimieren, dass ich bei den Schritten meines Lebensplans möglichst wenig von den Zwängen des Alltags eingeklemmt werde. Dazu sind zum Beispiel die hier im Blog schon oft erwähnten ToDo-Listen nicht nur sehr hilfreich – jetzt entfalten sie sogar eine sozial-philosophische Dimension.
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