Gewaltfreie Kommunikation: Die Praxis

Autor: Michael Häfelinger
Veröffentlicht am: 2. März 2011
Kategorie: Kommunikation, Mediation / Konfliktlösung

Vor zwei Wochen habe ich einen Einstieg in gewaltfreie Kommunikation gegeben. Aber wie wenden wir sie in der Praxis an?

Das Modell der gewaltfreien Kommunikation beinhaltet vier Komponenten:

  1. Was kann ich am Gesprächspartner objektiv beobachten ? (10 Min. später kommen als verabredet)
  2. Welches Gefühlt löst bei mir diese Beobachtung aus? (Enttäuschung, da Erwartung nicht erfüllt)
  3. Welches meiner Bedürfnisse steckt hinter dem Gefühl? ( ich habe ein Bedürfnis nach Aufmerksamkeit, Respekt, Rücksicht u.ä.)
  4. Konkrete Bitte/Wunsch formulieren, um dies jetzt oder in Zukunft zu ändern. (Sag mir bitte, ob du bereit bis, in Zukunft auf unser beider Bedürfnis nach Rücksichtnahme und Wertschätzung durch Einhaltung unserer Verabredungen ein zu gehen)

Das ist der erste Teil der gewaltfreien Kommunikation: Wir drücken diese vier Informationen klar aus. Im zweiten Schritt treten wir in Kontakt mit unserem Gegenüber und nehmen die gleichen vier Informationen von ihm auf. So entsteht Kommunikation.

Schon der erste Schritt: „Beobachten ohne zu bewerten“, ist schwierig. Versuchen Sie mal, ohne Wertung eine Beobachtung zu formulieren. Wie schnell kommt uns ein „Du kommst immer zu spät“ über die Lippen, anstatt zu sagen: „Ich beobachte seit einigen Wochen, dass Du oft zehn Minuten nach Arbeitsbeginn ins Büro kommst“.

Versehen wir die Beobachtung mit einer Wertung, fühlt sich unser Gegenüber kritisiert und hört nicht mehr, was wir sagen wollen. Besser ist es also, wertneutral das Beobachtete zu schildern; der andere wird dann bereit sein, uns zuzuhören.

Im nächsten Schritt gilt es, unsere Gefühle auszudrücken. Das ist viel komplizierter, als wir denken. Der Wortschatz, dessen wir uns bedienen, um Gefühle auszudrücken, ist begrenzt. Außerdem gebrauchen wir das Wort „fühlen“ häufig in falschem Zusammenhang: „Ich habe das Gefühl, dass Du pünktlich sein solltest“, beschreibt nicht unser Fühlen. Besser wäre hier: „Ich bin enttäuscht von Dir, weil ich fühle, dass Du meine Pünktlichkeit ausnutzt, um selbst zu spät zu kommen.“ Darin spiegelt sich unsere Verletzlichkeit wider. Bei der Konfliktlösung ist es sehr hilfreich, auch wenn viele von uns Probleme damit haben, ihre Verletzlichkeit zu zeigen.

Der dritte Schritt ist besonders schwierig: Wir sollen uns klar machen, dass die Handlungen anderer bei uns Gefühle auslösen, nicht jedoch Ursache unserer Gefühle sind. Jeder muss selbst Verantwortung für seine Reaktion übernehmen.

Wir kennen die vier Reaktionen auf Kritik: 1. Wir geben uns selbst die Schuld oder 2. anderen und 3. wir nehmen die Gefühle und Bedürfnisse von uns selbst oder 4. von anderen wahr. Die Wahrnehmung für unsere Eigenverantwortung schärfen wir, indem wir sagen: “ Ich fühle mich ausgenutzt, weil ich mich jeden Morgen abhetze, um pünktlich zu sein.“ Sprechen wir über das, was wir brauchen, steigt die Wahrscheinlichkeit, den Weg zur Erfüllung unserer Bedürfnisse zu finden. Meist liegt eines der folgenden Bedürfnisse zugrunde:

  • Autonomie (Ziele, Werte)
  • Integrität (Sinn, Selbstwert)
  • Interdependenz (Nähe, Gemeinschaft, Geborgenheit)
  • Existenz (Luft, Nahrung, Körperkontakt)
  • Spiel (Freude, Lachen)
  • spirituelle Verbundenheit (Schönheit, Harmonie, Frieden)

Da wir in einer Welt leben, in der wir verurteilt werden, wenn wir unsere Bedürfnisse wahrnehmen und zeigen, kann es beängstigend sein, genau das zu tun. Wir werden von unserer Umwelt gerne als egoistisch und individualistisch abgestempelt, wenn wir unsere Bedürfnisse über die anderer zu stellen. Wir haben gelernt, uns um andere zu kümmern und die eigenen Bedürfnisse zu ignorieren. In meinem Beispiel ist es zielführender, unser Gefühl so zu formulieren: „Wenn Du zehn Minuten zu spät kommst, bin ich enttäuscht, weil ich gehofft habe, dass wir uns vor dem Meeting noch kurz austauschen und vorbereiten können.“

Der letzte Schritt des Modells widmet sich der Frage, worum wir andere bitten können, damit sich unsere Lebensqualität verbessert. Ein wesentlicher Aspekt: Bedienen Sie sich einer positiven Sprache. Bitten Sie nicht um das, was Sie nicht wollen. Statt: „Ich bitte dich, nicht mehr unpünktlich zu sein“ ist besser: „Bitte sei pünktlich!“ Wir bitten bewusst: „Ich bitte Dich, vor Meetings pünktlich zu erscheinen!“ Wir bitten um Wiedergabe: „Hast Du das verstanden?“ Wir bitten um Offenheit: „Sag mir doch bitte, was Du über meine Worte denkst.“

Unserer Bitte muss natürlich nicht entsprochen werden. Wenn wir dann enttäuscht sind, haben wir keine Bitte sondern eine Forderung formuliert.

Ein schwieriger Prozess. Probieren Sie es mal aus.

Ich habe zu dem Thema vor vielen Jahren ein Seminar für leitende Angestellte und Mitarbeiter eines Unternehmens besucht; ich war als Coach zu Gast. Mitarbeiter waren zahlreich anwesend, während nur zwei der leitenden Angestellten vertreten waren. Das veranlasste mich zu der ironisch gemeinten Bemerkung: „Das ist ja toll, dass das Seminar so viel Resonanz auf Leitungsebene hat!“. Im selben Moment erkannte ich, dass ich meine Beobachtung wertend beschrieben habe. Und das, obwohl ich gerade ein Seminar über gewaltfreie Kommunikation absolviert hatte!

Ihnen wird es ähnlich gehen: Wir ertappen uns immer wieder dabei, die Regeln der gewaltfreien Kommunikation zu missachten. Aber wenn uns das auffällt, gehen wir einen Schritt in die richtige Richtung.

 

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